Freitag, 30. September 2016

Eine Woche in Kong, die Hauptstadt der Dioula

"We should be astonished at the goodness of God, stunned that He should bother to call us by name, our mouths wide open at His love, bewildered that at this very moment we are standing on holy ground." — Brennan Manning

Hier ein Versuch der Übersetzung ins Deutsche 
des Zitates von Brennan Manning:
 “Die Güte Gottes macht uns sprachlos, darüber, dass Gottes Liebe uns beim Namen nennt. Seine Majestät, Allmacht und Größe spiegelt sich in seiner wunderbaren Schöpfung wieder. Da wo wir mit ihm verbunden sind stehen wir auf heiligem Boden.”

Going Dioula - 4th - 11th August 2016 

Angelika’s Eindrücke 

Und los gings früh am Morgen vom Bouaké Busbahnhof mit einem kleinen bulliartigen Wagen. Damaris und ich hatten das Privileg beide vorne neben dem Fahrer zu sitzen. Unterwegs stiegen immer mal wieder Leute ein und aus. Die Regenzeit hatte die Landschaft in ein frisches Grün verwandelt: Baumwoll-, Mais- und Erdnußfelder standen in voller Blüte. Wir kamen gegen 14.00 Uhr in Kong an und wurden von Saydou und Tata Coulibaly abgeholt. 

Saydou ist der Sohn von BaOuleymann, bei 
dem Rod 1990 in der Familie lebte und die Dioula Sprache erlernte. Die Coulibaly Familie ist unsere erste Adresse in Kong. Diese Familie hat auch Wurzeln in Bouaké. BaGaoussou, der ältere Bruder von BaOuleymann ist der Chef vom Kong Courtyard in Bouaké und ein sehr gekannter Koran Lehrer. Über ihn hatten wir unsere Reise nach Kong Tage vorher angekündigt. Saydou brachte unser Gepäck und den 25 kg Sack mit frischem Ingwer, den wir Tata für ihr Geschäft mitgebracht hatten mit dem Motorrad nach Hause, während Tata, Damaris und ich zu Fuß an der großen Moschee vom 18. Jahrhundert entlang nach Hause gingen. Immer wieder wurden Grüße auf Dioula mit den Leuten ausgetauscht und ich kam sogleich wieder etwas in die Sprache hinein. Hier in Kong kennt sich jeder. 

Damaris aus Leipzig ist fast am Ende ihres Ethnologie Master Studiums und wollte ihren Sommer hier bei uns in der Côte d’Ivoire verbringen. Und wir wollten sie mit der Volksgruppe der Dioula bekannt machen, deren Hauptstadt Kong ist. Die Dioula, von der allgemeinen Mehrheit Mandé genannt, Leute, die zum Islam gehören, wird nicht als ethnische Gruppe bezeichnet. Zu den Mandé gehören dann auch die Senoufos, die sich zum Islam bekehrt haben. Dabei sind die Dioula eine Volksgruppe mit ihrer eigenen Sprache, Bräuchen und Traditionen. Genau das haben Damaris und ich in dieser Woche erlebt. 

Nachdem wir Mittag gegessen und alle Nachbarn die zur Familie gehörten gegrüßt hatten, nahm uns Tata zum Hochzeitstanz mit. Sieben Hochzeiten wurden in der Woche in Kong gefeiert. An diesem Donnerstag Nachmittag bis zum Sonnenuntergang war fast die ganze Stadt auf den Beinen, um die Bräute, die auf den Schultern verschiedener Männer getragen wurden, zu bewundern. Die Freunde des Bräutigams tanzten so mit dessen zukünftigen Frau und zeigen so ihre Freude für ihren Freund und auch die Kraft die sie haben. Es war schon faszinierend. Allerdings auch interessant zu sehen war, dass die Bräute an dem Tag gar nicht hübsch zurecht gemacht waren, sondern aussahen wie Mauerblümchen mit normalem Kopftuch und einer komischen Brille auf der Nase.

Am nächsten Morgen begleiteten wir Tata zu einer der Hochzeitsfamilien der Brautmutter, wo im Hof für die ganze Großfamilie und Braut Hirsebrei und anschließend “Kabato” (Maisbrei oder Polenta) in großen Kesseln zubereitet wurde. Dazu Okra Soße. Bei dieser riesen Kochaktion waren etwa 50 bis 70 alte und junge Frauen anwesend, die vor allem da waren um Stimmung zu machen, mit Gesang und Tanz. Rasseln und andere Rhythmusinstrumente wurden von den alten Frauen gespielt. Nur die Djembé (Trommel) spielten zwei junge Männer. So eine große Menge Maisbrei über einem Feuer zuzubereiten bringt einen ganz schön ins Schwitzen. 



Schließlich wurde das Essen per Familien in verschiedene Schüsseln verteilt. Eine Gruppe von Frauen, die wir begleiteten, brachte das Mittagessen zur Braut, die bereits in der Familie ihres Mannes war. Auf dem Weg dorthin wurde weiter gesungen zu den Rhythmen der alten Frauen. Im Hof der Schwiegerfamilie ging der Gesang und Tanz weiter, bis drei hübschgekleidete Bräute aus dem Haus kamen und mit allen mittanzten. 

So ging es jeden Tag weiter: morgens und abends wurde gemeinsam Kabato und Soße für alle Festfamilien zubereitet. Samstag Nacht wurde die Braut geklaut, wo die Braut in der Nachbarschaft ihrer Mutter gebracht wurde und wieder auf den Schultern eines Mannes getragen wurde. Die ganze Nachbarschaft war auf den Beinen, diesmal waren auch Männer dabei. Am Sonntag Abend kam die Braut nochmal zum Haus ihrer Mutter, wo ihre Haare geflochten wurden. Sie saß im Zentrum des Hofs während die älteren Frauen ihr Ratschläge per Gesang zusprachen und Geldstücke zuwarfen. Dienstag Morgen putzten sich alle Frauen und Kinder besonders heraus. Es wurde zum Abschluss eine besondere Hirsebouille mit Ingwer zubereitet und an alle Familien verteilt. 

Es war eine wirklich kunterbunte Woche, mit noch weiteren Begebenheiten, wie der 7. August, Unabhängigkeitstag, der mit Umzug, Gesang und Tanz durch die Straßen von Kong gefeiert wurde.



Damaris schildert ihre Eindrücke nochmal von einem anderen Blickwinkel. So bekommt ihr einen besseren Einblick in das alltägliche Leben, was hier so ganz anders ist. 


Unsere Woche in Kong, oder: Ein spannendes KONGlomerat 

Damaris Pastow 

Lange Busreisen sind gar nicht so schlimm, wenn man vorne sitzen und aus dem Fenster geröstete Erdnüsse und Popcorn kaufen kann. Und so verging auch unsere Fahrt nach Kong angenehm schnell. Jeder Versuch, ein Buch zu lesen, wäre zwar in einem der riesigen Schlaglöcher verschütt gegangen, aber dank Angelika und ihrem Smartphone konnte ich Rainer Maria Rilkes "Briefe an einen jungen Dichter" lauschen - im ivorischen Busch vielleicht fehl am Platz, aber auch nicht fehler als ich.

Unsere Gastfamilie quartierte uns in einem Zimmer neben ihrem kleinen Mietshaus ein - einem ivorisch blauen Zimmer. Das Blau, in dem hier viele Häuser gestrichen sind (wenn die Besitzer es sich leisten können) und das einem auch bei Hitze das Gefühl gibt, es wäre irgendwie kühl. Nachts sieht man dieses Blau allerdings nicht mehr, und dann hält einen die Hitze doch wach, die Hitze und die Moskitos.

An vieles musste ich mich gewöhnen: Daran, mich aus einem Eimer zu waschen, in einer Dusche, die sich im Schlafzimmer meiner Gastgeber befindet und gleichzeitig als Toilette dient - allerdings nicht für das große Geschäft, dafür muss man raus zu einem Plumpsklo, wo einem bei Dunkelheit fingerlange Kakerlaken über die Füße huschen. Yey. Ich bin dann nur noch tagsüber gegangen. Oder daran, mit den Fingern zu essen. Das macht richtig Spaß, war aber anfangs peinlich, weil mehr Essen auf meinem Pagnes und um mich herum landete als in meinem Mund. Ich lernte auch, dass man entgegen einem populären Filmtitel* gebärende Ziegen besser nur aus den Augenwinkeln beobachtet, wenn man nicht seltsam gefunden werden will.
In  Kong verbrachten wir viel Zeit damit, Leute "zu grüßen". Das heißt, in ihrem Hof vorbeizuschauen, Grüße auszutauschen und bei ihnen zu sitzen. Dabei wird bis auf die Grußformeln oft nicht einmal viel geredet. Manchmal bekamen wir ein Baby auf den Schoß gesetzt oder etwas zu trinken angeboten. Sonst saßen wir einfach da, während die Kinder und Hühner und Ziegen um uns herumwuselten.

Ich versuche mich mit Urteilen zurückzuhalten, aber eins kann ich unumwunden feststellen: Hochzeiten in Kong sind anders als Hochzeiten in Deutschland. Zuerst einmal sind sie länger, eine ganze Woche lang. Zweitens finden die meisten Aktivitäten nach Geschlechtern getrennt statt: Angelika und ich kochten und tanzten und redeten und saßen über Tage hinweg mit den Frauen, die einzigen anwesenden Männer waren zwei oder drei Trommler. In Deutschland wird ja nur bei JunggesellInnenabschied und Brautstraußwerfen Wert auf Gender (?) gelegt. Drittens sind "westliche Hochzeiten" der "große Tag" für das Brautpaar - es geht um sie und ihre Liebe zueinander. In Kong gewann ich den Eindruck, es ginge nur am Rande um Braut und Bräutigam. Den Bräutigam z.B. hab ich fast nie zu Gesicht bekommen, und das gleiche hätte er wohl über die Braut sagen können. Aber jetzt fragt mich nicht, worum es sonst ging, das hab ich noch nicht herausgefunden. Es fühlte sich jedenfalls community-basierter an, gemeinschaftlicher, nicht so individuell.

Jeden Morgen kochten die Frauen Kabato - Maisbrei - in einem Kessel, der mindestens so groß war wie der, in den Obelix als Kind gefallen ist. Dabei feuern die Frauen nicht nur die Kochstelle, sondern auch sich gegenseitig an, mit Tanzen und Singen und Klatschen, denn der Brei muss gut gestampft werden, damit er nicht klumpt, und das ist harte Arbeit. Wenn der Kabato fertig war, wurde er in kleine Töpfe verteilt, und dann zogen die Frauen mit Rasseln und Trommeln los und brachten ihn den Bräuten, die hübsch angezogen in einem dunklen Zimmer saßen. Die meisten Töpfe nahmen die Frauen allerdings mit nach Hause und aßen dort.

In Kong habe ich auch das Häkeln wiederentdeckt. Es hat den Vorteil, das man etwas Nützliches zu tun hat, wenn man lange mit Leuten zusammensitzt - es schlägt quasi eine Brücke zwischen dem "Kosten-Nutzen-Denken", das doch viel Raum in meinem Alltag in Deutschland einnimmt, und dem "Einfach-Da-Sein", dem ich hier in der Côte d'Ivoire begegne und das anfangs nicht leicht auszuhalten ist. Es ist wie ein kalter Entzug, und Häkeln lindert ihn etwas. Angelika und ich hatten die Idee, herauszufinden, ob die Frauen in Kong Lust hätten, es ebenfalls zu lernen. So könnten sie, wenn sie an ihren Marktständen oder beim Kochen sitzen, Mützen und andere Kleidungsstücke für ihre Kinder herstellen oder sogar verkaufen. Wir fanden heraus, dass man in Kong tatsächlich relativ günstig Wolle kaufen kann. Und die Frauen waren dann auch begeistert von der ersten Mütze, die wir ihnen zeigten. Zwei von ihnen konnten bereits etwas häkeln und wir verbrachten ein paar gemütliche Stunden mit ihnen und der Wolle vor unserer Hütte. Andere begannen zu lernen. Es wäre toll, es ihnen weiter beizubringen und so Zeit mit ihnen zu verbringen und Teil ihres Lebens zu sein, Beziehungen zu leben, die nicht auf Kosten-Nutzen-Rechnungen aufbauen.


*vgl. "Männer, die auf Ziegen starren" (2009)